logo_klein
Nachträgliche Aufhebung eines Immobilienkaufvertrages wegen Wuchers
Nachträgliche Aufhebung eines Immobilienkaufvertrages wegen Wuchers

Sobald sich Käufer und Verkäufer auf einen Immobilienkaufvertrag geeinigt haben, ist dieser grundsätzlich rechtswirksam. In bestimmten Konstellationen können Verträge nachträglich aufgehoben werden, etwa im Fall von Wucher.

Was bedeutet Wucher?

Wucher im juristischen Kontext bedeutet, dass jemand den Leichtsinn, die Unerfahrenheit oder die Zwangslage einer bestimmten Person ausnützt, um eine Leistung zu bekommen, die in einem auffallenden Missverhältnis zur eigenen Leistung steht. Damit ein Vertrag wegen Wuchers nachträglich aufgehoben werden kann, braucht es also (1) ein auffallendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung sowie (2) das Ausnutzen einer Zwangslage der verkürzten Person.

OGH-Entscheidung zum Wucher beim Immobilienkaufvertrag

Kürzlich gab es eine OGH-Entscheidung zu der Frage, wann beim Immobilienkaufvertrag Wucher vorliegen kann. Der Sachverhalt stellte sich dar wie folgt:

Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nahm die Klägerin (Verkäuferin) im Jahr 2016 und 2017 Kontakt mit dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten auf, um den Verkauf von einigen ihrer Immobilien zu besprechen. Im Jahr 2018 schloss die Klägerin insgesamt 13 Kaufverträge über ihre Immobilien mit Käufern ab, die alle in familiärer Beziehung zum Sohn des Geschäftsführers der Beklagten standen. Die Klägerin war sich des wahren Marktwerts der Objekte nicht bewusst und verließ sich darauf, dass der vorgeschlagene Kaufpreis angemessen sei. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Klägerin zwar geschäftsfähig, litt jedoch unter psychischen und physischen Gesundheitsproblemen und konsumierte vermehrt Alkohol sowie Schmerz- und Beruhigungstabletten, sodass sie zwischen 2016 und 2021 den Überblick über ihre finanzielle Situation verlor. Sie schaffte es jedoch, ihren Zustand vor den Vertragspartnern zu verbergen. Die Klägerin beantragte bei Gericht nun unter anderem die Aufhebung und Rückabwicklung zweier Kaufverträge vom Oktober 2018.

Grundsätze für den Wucher beim Immobilienkaufvertrag

Aus der Entscheidung ergeben sich folgende Leitsätze zum Thema Wucher beim Immobilienkaufvertrag:

  • Die Vertragsanfechtung wegen Wuchers erfordert ein deutliches Ungleichgewicht zwischen der erbrachten Leistung und der Gegenleistung. Das ist gegeben, wenn der Wert der Gegenleistung erheblich über dem Wert der erbrachten Leistung liegt; jedoch gibt es keinen festgelegten Schwellenwert.
  • Das deutliche Ungleichgewicht muss auf bestimmte Umstände zurückzuführen sein, etwa auf Leichtsinn, Zwangslage, mangelnde geistige Fähigkeiten, Unerfahrenheit oder emotionale Belastung des Vertragspartners. Die genannten Umstände, die den Vertragspartner betreffen, sind nicht abschließend. So kann beispielsweise auch die Unkenntnis über den Wert der eigenen Leistung oder übermäßiges Vertrauen in den Vertragspartner einbezogen werden. Eine Zwangslage liegt in jedem Fall vor, wenn der Vertragspartner vor die Wahl zwischen dem Vertragsabschluss und einem noch schwerer wiegenden Nachteil gestellt wird. Die Zwangslage kann auch vorübergehend, psychologisch oder vermeintlich sein und sich in Ängsten äußern, zB dass eine Zwangsversteigerung droht und man dadurch die eigene Wohnung verliert.
  • Schließlich muss eine Ausnutzung dieser Situation durch die andere Vertragspartei erfolgen. Das Kriterium der Ausnutzung setzt voraus, dass demjenigen, der den Wucher begeht, die Situation des Vertragspartners und das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung bewusst ist oder bewusst sein sollte. Derjenige, der den Wucher begeht, muss die Situation des Vertragspartners jedoch selbst nicht aktiv herbeigeführt haben - es genügt, wenn er die Situation des Vertragspartners fahrlässig ausnützt.

Sie haben weitere Fragen im Immobilienrecht?

Sie haben weitere Fragen zum Immobilienkauf und möchten sich durch einen Rechtsanwalt beraten lassen? Schauen Sie gerne bei unseren Services im Bereich Liegenschaftsrecht vorbei. Als Rechtsanwälte sind wir auf dieses und weitere Rechtsgebiete spezialisiert. Melden Sie sich gerne bei unserer Kanzlei unter office@geuer.at oder telefonisch unter +43-1-4380072. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage.

Zur Entscheidung:

OGH 5 Ob 57/23b

Ecolex-Artikel zum Thema (kostenpflichtiger RDB-Zugang erforderlich

Scroll to Top